Wir bekommen einfach nie genug. Weniger ist mehr? Von wegen! Mehr ist mehr! Warum sollte weniger auch mehr sein? Weniger bedeutet doch Verzicht, und dazu haben wir so gar keine Lust. Schließlich hat man uns ewiges Wachstum versprochen. Und so wächst unser Fleischkonsum von Jahr zu Jahr. Wachstum ist schließlich wichtig: mindestens 3% pro Jahr. Auch unser Bauch bekommt davon etwas ab – auch in der Größenordnung 3% pro Jahr.
Darf’s ein bisserl mehr sein? Wie oft ist man das schon in der Obstabteilung gefragt worden? Mehr darf’s nur beim Fleisch sein – und beim Käse. Das bisserl mehr hat allerdings auch seinen Preis. Wir verzeichnen, neben dem erhöhten Fleisch- und Milchkonsum, jedes Jahr auch ein bisserl mehr Klimaerwärmung.
Darf’s wirklich noch mehr Klimaerwärmung sein? Wollen wir wirklich noch ein bisserl mehr Dürre und ein bisserl mehr Hurrikan haben? Darf es das? Wollen wir das wirklich?
Ein bisserl mehr bedeutet aber auch ein bisserl weniger. Jedes bisserl mehr für uns bedeutet nämlich auch ein bisserl weniger für andere zu essen. Nahrungsmittel sind schließlich kein unbegrenzter Rohstoff. Was wir uns mehr auf den Teller stapeln, haben andere weniger. Wenn’s ein bisserl mehr Wurst ist, fehlt die siebenfache Menge anderswo. Darf’s wirklich noch ein bisserl weniger sein für all die hungernden Menschen der Welt? Es geht schließlich um knapp eine Milliarde Menschen. Ein bisserl weniger bedeutet für viele Menschen einfach gar nix mehr. Darf das wirklich sein?
Darf’s auch ein bisserl günstiger sein? Unbedingt! Ein bisserl günstiger bedeutet nämlich, dass man sich ein bisserl mehr leisten kann. Und das wollen wir schließlich alle. Ein bisserl günstiger bedeutet ein bisserl mehr im Geldbeutel. Das finden wir toll, weil wir uns so ein bisserl mehr kaufen können. Ein bisserl günstiger heißt aber in anderer Hinsicht auch ein bisserl weniger. Beispielsweise ein bisserl weniger Platz für die armen Schweine. Auf der Fläche eines Ehebetts von 2m x 2m dürfen derzeit mehr als fünf Schweine mit je 110 kg Gewicht gehalten werden. Das bedeutet: es gibt keinen extra Platz zum Scheißen. Ihr ganzes Leben lang stehen die fünf Schweine auf dem bisserl Raum in ihrer eigenen Scheiße. Darf’s ein bisserl weniger sein? Klar! Ein bisserl weniger geht immer: Auf der Fläche eines Ehebetts von 2m x 2m darf man nämlich auch 36 Legehennen halten. Das ist die so genannte Bodenhaltung. Übrigens ist das immer noch ein bisserl mehr Platz als bei der klassischen Käfighaltung. Aber es geht auch noch ein bisserl weniger. In dasselbe Ehebett dürfen nämlich auch 100 Masthühner! Noch ein bisserl weniger geht gar nicht mehr. Da ist einfach kein bisserl Luft mehr da, um noch mehr Tiere reinzuquetschen.
Darf’s noch ein bisserl mehr sein? Ein bisserl mehr Keimbelastung zum Beispiel? 90% des Fleischs ist mit antibiotikaresistenten Keimen belastet. Darf es davon wirklich ein bisserl mehr sein? Eigentlich geht das kaum noch. Ein bisserl mehr wären 100%. Die Wissenschaft schlägt schon jetzt Alarm wegen der Keime.
Darf’s immer noch ein bisserl mehr sein? Ein bisserl mehr Umweltverschmutzung zum Beispiel? Ein bisserl mehr Scheiße, buchstäblich. Ein bisserl mehr Wurst heißt ein bisserl mehr Scheiße, die auf die Felder muss. Dort steckt man aber jetzt schon nicht nur ein bisserl in der Scheiße. Die Felder sind voll davon. 30% unseres Grundwassers ist nicht mehr genießbar.
Darf’s immer noch ein bisserl mehr sein? Der Arzt würde wahrscheinlich nein sagen. Ein bisserl mehr Bluthochdruck würde wahrscheinlich den Tod bedeuten. Ein bisserl mehr Fleisch erhöht auch das Krebsrisiko – und nicht nur ein bisserl. Ein bisserl Diabetes ist auch nicht ganz ungefährlich.
Darf’s immer noch ein bisserl mehr sein? Wie wäre es mit ein bisserl mehr emotionaler Kälte? Aktuell darf man einem Schwein seinen Kringelschwanz abschneiden – ohne Betäubung. Das tut auch nur ein bisserl weh. Ebenso darf man ein Schwein kastrieren, ihm im wahrsten Sinne des Wortes die Eier rausreißen – ohne Betäubung. Das tut auch nur ein bisserl weh, wie sich jeder Mann gut vorstellen kann. Kleine männliche Küken werden millionenfach direkt nach der Geburt in den Schredder geworfen. Weil sie ein bisserl zu langsam wachsen. Ein bisserl mehr emotionale Kälte? Da ist kaum noch Luft nach oben. Wir sind schon so ziemlich am Maximum angelangt, was Grausamkeit gegenüber Tieren anbelangt. Mir fallen jedenfalls auf Anhieb keine Steigerungsmöglichkeiten ein.
Und wir wollen trotzdem immer noch ein bisserl mehr – obwohl all dieses Informationen in unserer Gesellschaft verfügbar sind. Vernunft? Kein bisserl! Mitleid? Fehlanzeige! Nachhaltigkeit? Interessiert nicht! Verantwortung? Ein Fremdwort! Herz? Auch kein bisserl! Aber ein bisserl mehr Fleisch, das darf’s schon sein!
"Wollte man die Gesellschaft schildern, wie sie ist, man würde sich dem Tadel der Übertreibung aussetzen."
Emanuel Wertheimer - (1846 - 1926) - Deutsch-Österreichischer Philosoph