„Es ist unglaublich, was man unter der Erde alles finden kann“, denke ich mir, während ich ein Skelett mit einem Pinsel vom Sand befreie. Ich gehe sehr behutsam mit dem Fund um, ich möchte nichts beschädigen.
Erst vergangene Woche sind wir hier angekommen. Nach monatelanger Reise haben wir uns direkt in die Arbeit gestürzt, wir wollten wissen, was hier passiert war. Der Monitor an meinem Strahlenanzug zeigt unverändert eine extrem hohe radioaktive Belastung. Meinen Schutzanzug sollte ich entsprechend dringend anbehalten.
Mein Partner kommt aufgeregt auf mich zu, er hat ein Massengrab gefunden. 15.000 Tote in nur einer Grabstätte. Ich lasse mein Skelett erst einmal beiseite und eile ihm hinterher. Und tatsächlich, wir betreten eine riesige Grabkammer, bis oben gefüllt mit verwesten Körpern.
Die Entdeckung dieses Planeten daheim war eine gigantische Sensation gewesen. Unsere Wissenschaftler hatten erstmals überhaupt in der Geschichte einen Himmelskörper entdeckt, der in Reichweite zu unserem Sonnensystem die Voraussetzungen für Leben erfüllte. Unsere Teleskope konnten uns keine Details zeigen, deshalb haben wir uns per Raumschiff auf den Weg gemacht.
Wir hatten uns auf eine Feier des Lebens gefreut, darauf, erstmals Kontakt zu außerirdischem Leben herzustellen. Schließlich hat uns seit jeher die Frage beschäftigt, ob wir allein im Universum sind. Nun, ob wir derzeit allein sind, wissen wir nicht – aber wir waren es definitiv nicht immer. Als wir diesen wundervollen blauen Planeten erreicht hatten, war das Leben dort bereits erloschen. Wir fanden nur noch die Trümmerfelder. Wir sind vermutlich 100 Jahre zu spät eingetroffen, wenn man unseren Sensoren Glauben schenken darf.
Die Atemluft hier ist verpestet, die Landmasse radioaktiv verstrahlt, die Temperaturen sind zu heiß, um Leben zu ermöglichen. Auf den Böden wachsen vereinzelt noch Pflanzen, aber die meisten sind in keinem guten Zustand. Was ist nur mit diesem Planeten passiert?
In der Grabkammer sind unzählige Skelette, allerdings sind sie bedeutend kleiner als das, welches ich zuerst gefunden hatte. Wir schreiten durch die Kammer, und langsam dämmert es uns: Dieser riesige Raum war gar keine Grabkammer, er diente als Gefängnis. Die Analysen ergeben, dass diese Lebewesen nur wenige Wochen alt waren, als sie ums Leben gekommen sind. Und sie waren alle gleich alt. Wer macht so etwas? Wer sperrt so viele neugeborene Lebewesen in eine Halle?
Als ich mein Skelett weiter entstaube, finde ich etwas in seinen Händen. Es ist ein in Papier gewickelter, harter Gegenstand. Außen ist er mit goldenen Schriftzeichen, abgerundeten Doppelbögen gekennzeichnet. Ich packe den Gegenstand aus. Mein Analysegerät stellt schnell fest: Das Artefakt besteht aus Pflanzen, sehr viel Chemie und den sterbliche Überresten einer Lebensform. Das Gerät stellt eine sehr hohe DNA-Übereinstimmung mit den Skeletten aus dem Gefängnis fest. Kann das sein? Haben diese Lebewesen wirklich andere Lebewesen eingesperrt und verspeist? Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Wie hätten sich diese Wesen wohl bei unserer Ankunft verhalten, wenn sie noch am Leben gewesen wären? Hätten sie uns auch eingesperrt und gegessen? Wahrscheinlich ist es besser, dass diese Spezies ausgestorben ist. Nur schade um den verwüsteten Planeten, den sie zurückgelassen haben.
"Der einzige Reiz der Vergangenheit ist, dass sie vergangen ist."
Oscar Wilde - (1845 - 1900) - Irischer Schriftsteller